Von Metallindustrie zu grüner Energie

Das Neustädter Hüttengelände verwandelt sich in ein Klimaquartier. 35 Häuser entstehen hier gleichzeitig. Vor anderthalb Jahren noch undenkbar: Mitte des Jahres 2019 lag die Fläche zwischen Siemensstraße und Landwehr noch im Dornröschenschlaf. Seitdem ist auf der ehemaligen Industriebrache viel passiert.

Sonja Höfter | 23. März 2021
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Die LeineNetz, ein Tochterunternehmen der Ideenstadtwerke, errichtet dort, wo früher Eisen verhüttet wurde, auf rund 120.000 Quadratmetern ein klimaneutrales Wohnquartier. 700 bis 800 Wohneinheiten wird es hier in Zukunft geben. Die erste Wärmepumpe läuft schon.

Angeschlossen ist sie an die sogenannte „kalte Nahwärme“. Das funktioniert so: Unterirdische mit Sole gefüllte Leitungen nehmen Wärmeenergie aus dem Erdreich auf und transportieren die erwärmte Flüssigkeit zu den einzelnen Gebäuden. Wenige Grad über Null im Erdreich sind dafür schon völlig ausreichend. Mit Salzwasser hat der Inhalt der Rohre aber wenig gemein: Es handelt sich um ein Wasser-Glykol-Gemisch – eine frostsichere und umweltverträgliche Lösung, die unter anderem in Supermärkten zum Kühlen eingesetzt wird. Da die Sole die Temperatur des umgebenden Erdreiches hat, kommt es zu keinem Wärmeverlust während des Transportwegs. Im Wohnhaus angekommen, wird die Wärmeenergie auf das Kältemittel der Wärmepumpe übertragen. Dieses nimmt somit die Umweltwärme auf und verdampft langsam. Die Temperatur des Dampfes reicht jedoch noch nicht aus, um einen Raum zu beheizen, deshalb komprimiert ein mit Strom angetriebener Kolbenverdichter den Dampf zusätzlich. Das Ergebnis: Druck und Temperatur steigen. Erreicht er seine gewünschte Gradzahl, überträgt sie ein Wärmetauscher auf das Heizwasser. Der komplette Energiebedarf für Warmwasser und Heizung ist dank der mit Ökostrom betriebenen Wärmepumpen klimaneutral gedeckt. Und das System kann noch mehr: An heißen Tagen kann die ans kalte Nahwärmenetz angeschlossene Wärmepumpe auch umgekehrt Wärmeenergie aus den Wohnräumen über die Sole wieder ins Erdreich zurückführen. Daher kommt der Name des Systems allerdings nicht: Die Bezeichnung „kalte Nahwärme“ entspringt den im Vergleich zu anderen Wärmenetzen niedrigen, fast kalten, Temperaturen.  

 

Zurück zum Hüttengeläne: Mitte Juli 2020 wurden 42.000 Liter Sole in die Leitungen gepumpt. Der erste Kollektor liefert mit seiner Fläche von rund 3.200 Quadratmetern genug Energie, um mindestens den ersten Bauabschnitt mit Wärme zu versorgen. Mit dem zweiten und dritten Bauabschnitt kommen zwei zusätzliche, 6.700 Quadratmeter große Kollektoren in eineinhalb und drei Metern Tiefe ins Erdreich.  

Für Passant*innen und Bewohner*innen ist das riesige Kollektorfeld unsichtbar, schließlich liegt es in anderthalb Metern Tiefe verborgen. Oberirdisch lassen nur Straßennamen, wie Solering oder Rittinger Allee erahnen, dass das Wohngebiet buchstäblich auf nachhaltiger Technologie gebaut ist. Die Rittinger Allee verdankt dabei ihren Namen dem Erfinder der Wärmepumpe - Peter von Rittinger.

Neben den Straßennamen gibt es aber noch einen kleinen Hinweis auf die innovative Technologie: Zwischen den Häusern steht momentan ein schmucker weißer Container, der die große Netzpumpe des Nahwärme-Kollektors verbirgt. Neugierige Spaziergänger*innen werden dabei belohnt, denn auf der Rückseite des Containers wird anhand von fünf Tafeln noch einmal die Funktionsweise des kalten Nahwärmenetzes erklärt.

 

Alex Malachow, Teamleiter Netzbetrieb für Gas, Wasser und Wärme der LeineNetz, ist bei dem Großprojekt für die Haustechnik und damit für die Wärmepumpen verantwortlich. Als Mann der ersten Stunde kümmert sich der Netzmeister um die Auswahl der Zulieferer, wählt Installateur*innen aus und ist für die Inbetriebnahme der Anlage verantwortlich. Den Bau des Kollektors hat er zusammen mit seinem Team betreut.  

Obwohl das kalte Nahwärmenetz in Neustadt bislang einzigartig ist, ist das Thema für den Wärmeexperten nicht neu: „Die Technik ist mir schon in meiner früheren Tätigkeit als Installateur- und Heizungsbaumeister und Kältetechniker begegnet.“ Daher weiß er auch, wo es den meisten Klärungsbedarf gibt: „Am häufigsten fragen die Bauträger und Kund*innen nach der richtigen Größe für die Aufstellfläche der Wärmepumpe. Heizungs- und Elektroinstallateure wollen wissen, was sie vorbereiten müssen, damit wir unsere Technik installieren können“, erzählt Alex. Die Antworten: „Die Wärmepumpe können wir einbauen, sobald die Hausanschlüsse fertiggestellt sind und der Fußbodenbelag verlegt ist. Außerdem sollte der Standort unmittelbar neben dem Warmwasserspeicher und der Hauseinführung sein.“

Alex geht davon aus, dass bis August um die 20 Wärmepumpen in den Einfamilienhäusern in Betrieb sein werden. Der erste Bauabschnitt wird voraussichtlich im März 2022 zur Hälfte fertig bebaut sein. Dann betreiben die Ideenstadtwerke rund 50 Wärmepumpen. Aber wie hält man so eine große Anlage instand und kontrolliert sie? „In unserem Kontrollzentrum, der Messwarte, können wir Druck und Temperatur aller Wärmepumpen rund um die Uhr überwachen, zusätzlich kommt einmal jährlich eine Fachkraft zur Wartung ins Haus. Und die große Netzpumpe, die sich in dem Container an der Rittberger Allee verbirgt, kontrollieren wir täglich“, erläutert der Experte.

 

Die Pläne für den Vollbetrieb stehen also – und das erste Haus wird bereits mit grüner Bodenwärme versorgt: Am Mittwoch, 24. Februar, hat die Wärmepumpe im Hauswirtschaftsraum von Natalia und Boris den Betrieb aufgenommen. Für das Ehepaar ein ganz besonderer Tag: Drei Jahre haben sie gewartet, bis die Zusage für ein Grundstück auf dem Hüttengelände kam. Natalia und Boris, die beide in einem Pflegeheim für Senior*innen arbeiten, entschieden sich für ein Eckgrundstück mit Blick auf das Regenrückhaltebecken. Nun können sie den Bungalow endlich ihr Zuhause nennen. Das haben sie auch Alex zu verdanken. Das Ehepaar kommt, angesprochen auf den Netzmeister, ins Schwärmen: „Alex ist super, er kümmert sich nicht nur um die Wärmepumpe, sondern vermittelt auch bei anderen Themen – wie zum Beispiel beim Glasfaser-Internet von RASANNNT. Und wenn Alex sagt, dass etwas am nächsten Tag passiert, dann klappt das auch!“

Von „kalter Nahwärme“ hatten Natalia und Boris vor dem Grundstückskauf noch nie etwas gehört. Das ist wenig verwunderlich – schließlich ist das Klimaquartier Hüttengelände das erste kalte Nahwärmenetz Niedersachsens und das zweitgrößte in Deutschland. Jetzt ist das Ehepaar stolz darauf, dass ihr neues Haus klimafreundlich wird: „Vor 30 Jahren haben wir den Müll getrennt und gedacht, wir tun damit genug für die Umwelt. Heute wissen wir glücklicherweise mehr und sind froh, dass wir einen Beitrag dazu leisten, dass die Erde lebenswert bleibt.“ Für die beiden endet die Nachhaltigkeit nicht mit der Wärmepumpe: „Das nächstes Fahrzeug wird ein E-Auto. Dann lassen wir auch eine E-Ladestation installieren“, erzählt Natalia, zeigt auf die Garage und Boris nickt. Die beiden halten sich an den Händen. Die Freude über ihr neues Zuhause steht dem Ehepaar ins Gesicht geschrieben.

Hier schreibt Sonja

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Sonja kümmert sich um die Social-Media-Kanäle und das Marketing der Ideenstadtwerke.

 

"Vor 30 Jahren haben wir den Müll getrennt und gedacht, wir tun damit genug für die Umwelt. Heute wissen wir glücklicherweise mehr (...)"

Natalia und Boris, wohnen seit 2021 auf dem Hüttengelände

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